Rock und Pop - Musik Journailismus

Musik

Artikel für den „Bergsträßer Anzeiger“ bzw. „Mannheimer Morgen“

Was will Genesis eigentlich mit Phil Collins?

Ray Wilson und Stiltskin gastierten im „Musiktheater Rex“/begeisterte Zuschauer

Lorsch. Wahrscheinlich ist eine eigenartige Kreatur, die sich – um ein Lagerfeuer tanzend – darüber freut, dass niemand ihren Namen kennt, nicht unbedingt die erste Assoziation, die sich einem aufdrängt, wenn man an eine Rockband denkt. Tatsächlich ist der Name der schottischen Band „Stiltskin“ aber von „Rumpelstiltskin“ abgeleitet, eben dem deutschen „Rumpelstilzchen“. „In Deutschland ist das wahrscheinlich nicht so cool, weil es ein deutsches Märchen ist. In Schottland lesen die Schüler „Rumpelstilzchen“ aber in der Schule. Den Namen hat ein früherer Gitarrist der Band vorgeschlagen, der allerdings schon tot ist“, erklärt Sänger und Gitarrist Ray Wilson die ungewöhnliche Namensgebung. Märchenhaft klingt jedenfalls der kometenhafte Aufstieg, der die Band direkt in die britischen Charts katapultierte. 1994 von den Freunden Peter Lawlor und James Finnegan gegründet, würde „Stiltskin“ zunächst um Schlagzeuger Ross McFarlane und Sänger/Gitarrist Ray Wilson ergänzt. Bereits die erste Single „Inside“ bescherte der Band die Pole Position der britischen Charts. Auch hierzulande schaffte man es auf Anhieb auf Platz 5. Nicht ganz unschuldig an diesem Erfolg mag ein US-amerikanischer Jeans-Hersteller mit deutschen Wurzeln gewesen sein, der den Titel für einen Werbespot verwendete und der Band somit größte Medienpräsenz sicherte. Dass die Band auch ohne fremde Hilfe hitverdächtige Songs in den Charts positionieren kann, bewies sie gleich mit der zweiten Single „Footsteps“, die es in Großbritannien immerhin auf Platz 34 schaffte. Zu einem Nachfolgealbum der erfolgreichen Platte „The Mind´s Eye“ kam es jedoch zunächst nicht. Streitigkeiten mit der Plattenfirma sowie Unstimmigkeiten einiger Bandmitglieder untereinander verhinderten eine Fortsetzung des „Rock-Märchens“. Als Ray Wilson als Nachfolger von Phil Collins bei Genesis einstieg und Chartluft im großen Stil schnuppern konnte, schien die einst erfolgreiche Band aus Schottland endgültig auseinander zu brechen. Doch im Jahr 2005 folgte die Sensation für alle Ray Wilson- und Stiltskin-Fans: Zusammen mit Tour-Keyboarder Irvin Duguid und Nir Z (Zidhyahu), Wilsons altem Weggefährten aus Genesis-Zeiten, wollten es die Schotten noch einmal wissen. Im Oktober 2006 erschien das zweite Studioalbum „She“. Auf der folgenden Europa-Tournee präsentierten Ray Wilson und Stiltskin ausschließlich Titel von Stiltskin und der Formation CUT, einem Projekt, an dem Ray und Steve Wilson, Nir Z und weitere Musiker im Jahr 1999 gearbeitet hatten. 2007 folgte das erste Live-Album, das bei einem Konzert in der Bonner Harmonie mitgeschnitten worden war. Von den Live-Qualitäten der Band um Ray Wilson konnten sich die Gäste im „Musiktheater Rex“ am Mittwochabend selbst überzeugen. Der charismatische Musiker aus Edinburgh präsentierte einen Querschnitt seines Schaffens seit 1990, dem Jahr, in dem er begann, professionell Musik zu machen. Unterstützt wurde er von der neuesten Stiltskin-Besetzung mit Ashley MacMilian (Schlagzeug), Laurie MacMillian (Bass) und Ali Ferguson (Lead-Gitarre). Neben Stücken aus dem neuesten Studioalbum „She“, wie etwa „Lemon Yellow Sun“, gab Ray Wilson auch einige Genesis-Titel, wie „In the air tonight“ oder „Follow me, follow you“ zum Besten. Spätestens hier fragte sich der geneigte Musikfan, aus welchen Gründen Genesis Phil Collins wieder in die Band einstiegen ließ. Die bassige Stimme Wilsons hätte wohl auch hartgesottenere Rockfans vom Genesis-Sound überzeugen können. Auch Meisterwerke anderer Künstler honorierten die Musiker gebührend, etwa mit einer eigenen Version von David Bowies Klassiker „Space Oddity“. Nicht nur der eigens angereiste Wilson-Fanclub spendete begeistert Beifall bei diesem Streifzug durch das künstlerische Schaffen der schottischen Band. Die Begeisterung der Zuschauer ließ die kleine Konzerthalle erbeben – fast so, als hätten Genesis selbst sich die Ehre gegeben. cm


„Was machen Sie beruflich?“
„Ich bin Nichtraucher…“  

Lesung mit Heinz Rudolf Kunze im Rahmen des Projekts „Offene Kirche“ 

Lorsch. „Dein ist mein ganzes Herz, du bist mein Reim auf Schmerz…“ sang Heinz Rudolf Kunze in den 1980er Jahren. Schon damals war ein gewisser Hang zur Poetik unverkennbar – und zum Sarkasmus. Allein das Transportmittel hat sich gewandelt – während der Liedermacher noch vor zwanzig Jahren seine Gedanken primär in Liedtexten verarbeitete, ist er heute auch als Buchautor gefragt. „Meine Freundin hat ihn vor einiger Zeit in Berlin-Kreuzberg erlebt und war begeistert. Da dachten wir uns: Das machen wir in Lorsch auch mal!“ erzählt Volker Mehl, Initiator des Projektes „Offenen Kirche“. Unter dem Motto „Unter die Haut“ hatten er und seine Helfer, den Musiker und Autor Heinz Rudolf Kunze am Freitagabend in die St. Nazariuskirche eingeladen. „Ich weiß noch gar nicht so ganz, was uns erwartet…“ gestand Volker Mehl. Das wusste Heinz Rudolf Kunze nur zu genau. Umringt von Tausenden Kerzen, die den Raum in ein warmes, gemütliches Licht tauchten, schilderte Kunze den zahlreichen Zuhörern seine Sicht der Dinge – ein gekonnt ausgewähltes Sammelsurium aus verschiedenen Veröffentlichungen, allen vorweg sein neuestes Werk „Artgerechte Haltung“. Mit den Worten „Deutschland ist auf dem Weg in den Abgrund. Bitte machen Sie sich Sorgen!“ begrüßte er sein Publikum und begann einen Reigen aus überspitzten, aber dennoch oft aus dem Leben gegriffenen Parabeln, Anekdoten und Gedichten, deren polarisierende Tendenz auf das Publikum überschwappte. Immer wieder ertappten sich Zuschauer dabei, wie sie beschämt den Blick senkten, das Gehörte weit von sich wiesen oder zufrieden abnickten. So streifte Heinz Rudolf Kunze alle Facetten des menschlichen Lebens: Vom oft schwierigen Verhältnis zwischen Männern und Frauen über Spätzünder und die Politik bis hin zur Bildung: „Volkshochschule – wer dieses Wort erklären kann, wird in fünf Jahren bei Jauch Millionär!“ Auch dem aktuellen Fernsehprogramm widmete sich der Musiker und Autor ausgiebig. Neben einer „Ode an die Fernsehrichter“ analysierte er messerscharf den Gesundheitszustand von Klausjürgen Wussow alias Professor Brinkmann aus der „Schwarzwaldklinik“. Sorgen machte er sich auch über das Älterwerden: „Älterwerden heißt, McCartney doch besser zu finden als Lennon und damit auch noch recht zu haben.“ Auch merke man, wie alt man geworden sei, wenn man plötzlich Mitleid mit Gerhard Mayer-Vorfelder habe. Um das Altern zu verzögern, schlug er „Bleeching“ vor, ein US-amerikanisches Verfahren, bei dem die Zähne gebleicht werden. Dennoch erinnerte er sich nicht ausschließlich mit Wohlwollen an seine eigene Jugend. „Meine Jugend war schwer. Ich heiratete früh und dann rettete mich meine Frau – vor allem, was irgendwie hätte interessant sein können.“ Großen Anklang beim Publikum fand auch das „etwas andere“ Liebeslied, in dem er die Besungene sarkastisch und wenig charmant als peinlich, dumm und hässlich bezeichnete. Vor und zwischen den einzelnen Beiträgen sorgte Kunzes Manager Wolfgang Stute gekonnt für die musikalische Untermalung. Den Abschluss des Programms bildete ein Gitarrenduett mit Heinz Rudolf Kunze und Wolfgang Stute, zu dem Kunze natürlich auch eine Geschichte parat hatte: „Also, ich sitze in dieser Bar mit Elvis…“ Die fiktive Szenerie entpuppte sich als Dialog über Gleitsichtbrillen und mündete in Elvis´ Bitte, einen Titel von Hank Williams zu spielen. Und wer könnte dem „King“ schon eine Bitte abschlagen…? cm


A heart full of soul 

Blues Rock vom Feinsten/„The Yardbirds“ gastieren im „Musiktheater Rex“

Lorsch. „Jeden Abend bei der Show rissen auf Eric Claptons Gitarre bis zu drei Saiten. Während er sie wechselte, klatschte das Publikum langsam, aber sehr wohlwollend mit, um ihn anzufeuern. So entstand der Spitzname „Slowhand“, erzählt Chris Dreja und streicht sich dabei durchs grau melierte Haar. Zusammen mit Eric Clapton, Jimmy Page und Jeff Beck schrieb der freundliche ältere Herr aus England in den 1960er Jahren Musikgeschichte und ebnete mit den „Yardbirds“ den Weg für den weltweiten Siegeszug des Blues Rock. Begonnen hat alles zu Beginn der 60er Jahre, als aus der Schulband „Metroplotan Blues Quartet“ die Yardbirds wurden. „Yardbirds heißt in den USA „Reisende“ und als Musiker reist man ja oft. Da passt der Name ganz gut“, sagt Chris Dreja. Zusammen mit Keith Relf (Gesang, Mundharmonika), Anthony „Top“ Topham (Lead-Gitarre), Paul Samwell-Smith (Bass) und Jim McCarty (Schlagzeug) gehörte er zur Originalbesetzung der Band. Noch im Gründungsjahr 1963 wurde Anthony Topham durch Eric Clapton ersetzt, das erste Live-Album beim renommierten Label Columbia folgte 1964. Lange hielt es Clapton nicht bei der Band: Nach der Hitsingle „For your Love“ beschloss er, eine Solokarriere zu verfolgen – äußerst erfolgreich, wie wir heute wissen. Nachdem Jimmy Page ein Engagement als Claptons Nachfolger ablehnte, wurde Jeff Beck angeheuert. Für Paul Samwell-Smith, der 1966 ausschied, stieß nun doch Lead-Gitarist Jimmy Page zur Band, was zur Folge hatte, dass Chris Dreja an den Bass wechselte. Der Weggang von Jeff Beck 1966 läutete das vorläufige Ende der Yardbirds ein, floppten die folgenden Singles doch ebenso, wie das zugehörige Album. Der Split 1968 kam deshalb wohl für kein Bandmitglied wirklich überraschend. „Ende der 60er Jahre waren wir einfach ausgebrannt. Nach der Auflösung der Band verfolgten wir unterschiedliche Karrieren. Ich arbeitete beispielsweise lange als Fotograf“, erinnert sich Chris Dreja. Jimmy Page etwa gründete die „New Yardbirds“, aus denen wenig später Led Zeppelin wurde. „In den 80er Jahren trafen wir uns dann für ein paar Konzerte unter dem Namen „Box of Frogs“ wieder“, lächelt Chris Dreja, „und folgten in den 90ern dem Ruf eines Agenten, auf ein paar Festivals zu spielen. Dann nahmen wir ein paar Alben auf und gründeten die Band neu.“ Die neuen Gesichter bei den „Yardbirds“, John Idan (Bass), Billy Boy Miskimmin (Mundharmonika, Percussions) und Ben King (Lead-Gitarre) waren bei der ersten Gründung der Band noch nicht einmal geboren, doch bei Live-Auftritten transportieren sie – unterstützt von Chris Dreja und Jim McCarty, den „Geist der Sixties“ so überzeugend, als wären sie selbst dabei gewesen. Davon konnten sich am Mittwochabend auch die Gäste im „Musiktheater Rex“ überzeugen, die nach dem umjubelten Auftritt von Paul Camilleri und seiner Band das volle Yardbirds-Programm serviert bekamen. „Damals in den 60ern haben wir gerne mal Regeln gebrochen. Das hat sich geändert. Heute haben wir aber immer noch großartige Gitarristen und sind voller Energie“, bringt Chris Dreja das Geheimnis des Yardbirds-Erfolges auf den Punkt. Mit Hits wie „For your love“, „Heart full of soul“ oder „I am a man“, die auch nach vierzig Jahren noch lange nicht ihr Verfallsdatum überschritten haben, heizten sie der begeisterten Menge ein. Doch auch Stücke vom 2003er Album „Birdland“ trafen den Geschmack der Fans und haben sicher das Potenzial zu neuen Hits. Dass die Band nach wie vor eine der weltweit besten Blues Rock-Bands ist, bewies sie, als bereits nach dem vierten Titel aus technischen Gründen kurzzeitig das Licht gedimmt wurde: Man spielte einfach im Dunkeln weiter. „In den 90ern wollten wir einfach so zum Spaß wieder ein bisschen spielen – und here we are.“ Gut so. cm