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Film und Fernsehen

Blog-Artikel für die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.

Das persiflierte Böse: Chaplins großer Diktator

Wirklich ‒ noch ein Artikel über den Nationalsozialismus und seine Personifizierung? Ernsthaft? Zugegeben, darüber lässt sich sicherlich streiten. Nicht streiten lässt sich hingegen über die Notwendigkeit, immer und immer wieder an Menschen zu erinnern, die sich dem entgegenstellten ‒ auf unterschiedliche Weise. Klar denkt man erstmal an Stauffenberg, Elser und viele andere ‒ dass diese Männer von größter Bedeutung waren und unser aller Erfurcht verdienen, ist klar. Doch wenn es um humoristischen Widerstand geht, wird das Eis dünn. Vor allem dann, wenn es wohl um den einzigen Menschen gehen soll, der sich satirische Kritik rausnehmen konnte, als der Nationalsozialismus noch in vollem Gange war ‒ und seine Aufgabe auch noch unfassbar treffend gelöst hat. Kaum zwei Themen könnten wohl gegensätzlicher sein, als die Grausamkeit der Nazijahre und das Slapstickgenre.

Die optische Ähnlichkeit der beiden Protagonisten hingegen ist auf den ersten Blick ebenso verblüffend wie grotesk; und allemal gruselig: beide geboren im April 1889, ein winziges dunkles, kaum zwei Finger breites Bärtchen auf der Oberlippe, die ebenso dunklen Haare seltsam akkurat gescheitelt. Zwei Männer, die, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, ein klares Bild ihres Lebenswerkes vor Augen haben: Sie wollen Künstler werden. Bei dem einen scheint dieser Plan in genialer Weise aufzugehen; der andere ‒ der Überlieferung nach nahezu völlig talentfrei ‒ scheitert grandios und bastelt einen „Plan B“. Heute wissen wir, dass ein paar schlechte Bilder mehr der Welt so vieles erspart hätten. Denn während der eine als „kleiner Tramp“ in Stummfilmen ganze Heerscharen zum Lachen brachte, zeichnete der andere (leider mit Ton) ein Bild des Schreckens auf die europäische Landkarte ‒ und skizzierte den anderen (unterschiedlichen Quellen zufolge) als „ekelhaftes und langweiliges jüdisches Stehaufmännchen“.

Wer jetzt immer noch nicht weiß, um wen es hier geht: Setzen. Sechs. Und neben „Meyers Filmlexikon“ die „Chronik des 20. Jahrhunderts“ lesen (alternativ gerne auch die Überschrift dieses Artikels …).

Charles „Charlie“ Chaplin
bereitete seine indirekte Antwort an Adolf Hitler und sein Regime lange vor, denn ihm war die Brisanz seines Vorhabens wohl bewusst. Hätten jedoch mehr Menschen so klar wie Chaplin gesehen, welch barbarisches Verbrechen sich im Herzen Europas anbahnte, vielleicht wäre die Geschichte anders verlaufen.

Die beiden Protagonisten im ironisch betitelten Film Der große Diktator ‒ Chaplin in einer Doppelrolle ‒ könnten ebenfalls unterschiedlicher nicht sein: Da ist zum einen der prahlerische Diktator Adenoid (= Adolf, paranoid) Hynkel, der mit harter Hand, aber wenig konsequent im Polizeistaat Tomania (to mania = in den Wahnsinn, zu dt.: Tomanien) herrscht und die jüdische Bevölkerung in Ghettos überwacht. Er plant – unbemerkt von Benzino Napaloni, dem Herrscher von Bacteria – die Invasion des kleinen Nachbarlandes Osterlich. Und anschließend am liebsten die Annektierung der ganzen Welt. Auf der anderen Seite steht der symbolhaft namenlose jüdische Friseur, der bei der Flucht aus einem Konzentrationslager mit dem Diktator verwechselt wird und der Handlung so zu einer positven Wende verhilft. Chaplin überzeichnet Hynkel ‒ das wird in seinem ersten Tonfilm vor allem an den Reden des Diktators deutlich ‒ als das, was Adolf Hitler in der Rückblende war: ein talentloses, (g)eiferndes Männchen mit überzogener Rhetorik und völlig verzerrtem Weltbild.

Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass ausgerechnet der 1914 ausgewanderte Brite Chaplin die Grenzen zwischen grausamer Realität und Unterhaltung so kongenial durchbrach. Antikriegsfilme gab es 1940 in den USA zuhauf, doch keinen, der die Sinnlosigkeit des Krieges darstellte, indem er die Protagonisten karikierte und sie so der Lächerlichkeit preisgab. Chaplin erkannte schon zu Beginn des Krieges, was viele andere erst lange nach Kriegsende zu begreifen begannen: die größenwahnsinnigen Ideen eines Irren, der leider zur falschen Zeit am falschen Ort war. Ach, hätte der Stummfilm doch erst ein paar Jahre später dem Tonfilm weichen müssen! Doch Chaplin nutzt die neue Technik und treibt seine Satire zur Perfektion: Er kopiert Rhetorik und Intonation von Hitlers Reden, überspitzt sie (die aus heutiger Sicht auch schon so wie eine Persiflage klingen), indem er eine eigene Sprache kreiert. Er setzt eine Spielsprache (Grammelot) ein, die nur aus deutschen, englischen und (vor allem) völlig unverständlichen Wortfetzen besteht und die Hynkel in seinen Reden auf Tomanisch hält. Dabei benutzt er inflationär das Kunstwort „Schtonk!“ („… wird abgeschafft!“): „Liberty schtonk!“, „Democracy schtonk!“ (Spätestens jetzt wird vermutlich die Verknüpfung zum gleichnamigen 1992er-Film über die Hitler-Tagebücher klar.) Zugespitzt werden Hynkels fatalistische Reden unter dem Double Cross durch übertriebene Gestik und Mimik. Die Schilder und Ladenschriftzüge im Ghetto hingegen verweisen auf eine verfälschte Form von Esperanto, werden aber Englisch ausgesprochen. Dazwischen tauchen immer wieder Wörter auf, die ausländische Klischees bedienen, etwa Wiener Schnitzel oder Sauerkraut. Mutig vermischt Chaplin so in seinem ersten Tonfilm unterschiedlichste sprachliche Elemente zu einem ebenso skurrilen wie absurden Kauderwelsch.

Unweigerlich stellt sich die Frage: Darf man als Komiker einen solchen Film drehen? Und darf man überhaupt einen solchen Film drehen? Oder über das Böse lachen? Die Antwort ist nicht ganz einfach. Selbst Chaplin meldete Zweifel an: „Hätte ich von den Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte Der große Diktator nicht zustande bringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können“, wird er viele Jahre später in seiner Autobiografie schreiben. Als die Dreharbeiten just am Tag des deutschen Einmarschs in Polen begannen; waren die Vereingten Staaten noch mindestens einen Luftangriff auf Pearl Harbor davon entfernt, selbst in den Krieg einzutreten. Man wollte also keinen Ärger. Bei Erscheinen des Films 1940 – als der Zweite Weltkrieg gegen Nazideutschland bereits in vollem Gange war – waren viele Kritiker noch immer der Ansicht, dass man nicht den Regierungschef eines anderen Landes persiflieren dürfe ‒ selbst, wenn er mit seiner ganzen Gestik und Mimik eine Steilvorlage bot, ja, geradezu schon wie eine Persiflage seiner Selbst wirke. Charlie Chaplin fühlte aber, dass er, einer der beliebtesten Schauspieler seiner Zeit, als Vorbild Einfluss auf die Menschen hatte. So musste er auf die Geschehnisse in Europa reagieren ‒ und er tat das, was er am besten konnte: Slapstick. Mit seiner Persiflage auf das, was sich 1940 vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielte, versuchte er, die Macht des Films zu nutzen. Kaum ein anderes Medium konnte die Massen so faszinieren; konnte die Herzen berühren und hatte größeren Einfluss auf die Menschen. Dabei vermochte Chaplin, die verbrecherischen Machenschaften der Nazis zu karikieren, ohne den Krieg und seine Folgen zu verherrlichen oder die Komik lächerlich wirken zu lassen.

Natürlich hätte ein einzelner Film ‒ vielleicht ein einziger Mensch ‒ die grausamen Geschehnisse nicht verhindern können. Doch wenn Chaplin mit seiner Persiflage auch nur einen Menschen wachrütteln konnte, dann war sie es wert.

Über Cornelia Klein
Dr. Cornelia Klein studierte Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und promovierte über die mediale Vorbildkompetenz. Sie arbeitet als Lektorin und Redakteurin bei einem pädagogischen Fachverlag.

 


Die Wiederentdeckung der Langsamkeit, oder:
Was machen die Schlümpfe in New York City?

Neulich hatte ich mir einen fiesen Grippevirus eingefangen. So einen, bei dem man völlig erledigt auf der Couch liegt und alle Kraft aufwenden muss, um zumindest noch die Fernbedienung des Fernsehers betätigen zu können. Man weiß dabei nicht, ob das ungute Gefühl in der Magengegend nicht auch ein bisschen vom Nachmittagsprogramm der Privaten verursacht wird. Und dann passierte es: Kurz vor der Kapitulation brachte ich doch noch die Energie auf, einen zweistelligen Kanal einzustellen. Einen Kinder-Spartensender, den man sonst nur alibimäßig guckt, wenn der kleine Cousin zu Besuch ist. „Lalalalalalalala …“ sang es mir da entgegen und sofort war es wieder da: Dieses Gefühl von früher ‒ eine Mischung aus Geborgenheit, Abenteuerlust, Nostalgie und der Gewissheit, dass nach 20 Minuten alles gut enden wird.

Mit etwas mehr (zeitlichem) Abstand als mir lieb ist, glaube ich, dass mir vor allem die Langsamkeit behagte, mit der die kleinen blauen Schlümpfe ihren Alltag verrichteten. Da benötigte der Gärtnerschlumpf schon mal eine halbe Folge, um ein Blumenbeet zu gießen oder der Bäckerschlumpf, um eine Torte zu zaubern (ok, dafür brauche ich länger …).

Aber egal: Die Schlümpfe hatten ja Zeit ‒ zumindest, wenn sie nicht mal wieder irgendjemanden vor Gargamel retten mussten. Mit Erwachsenenproblemen, wie dem Begleichen von Rechnungen oder Krach mit den Nachbarn (abgesehen von Gargamel), mussten sie sich so gut wie nie auseinandersetzen.

Bekräftigt wurde diese wunderbare Entschleunigung, von deren geringem Realitätsgehalt wir schon als Kinder ahnten, durch eine (klein)kindgerechte Produktion: lange Szenen, keine schnellen Schnitte, bunte Farben, niedliche, klar gezeichnete Figuren, mit denen man sich direkt identifizieren konnte und immer mal wieder eine Wiederholung. Auch der böse, aber etwas dämliche Gargamel und seine Katze Azraël waren nie wirklich bedrohlich.

Auch inhaltlich waren die Geschichten überschaubar angelegt: Schönes Wetter, die Schlümpfe singen und gehen jeweils ihrer Lieblingsbeschäftigung nach. Dann gerät (mindestens) ein beliebiger Schlumpf in Gefahr. Papa Schlumpf braut einen Zaubertrank, und alles wird wieder gut.

Irgendwie war die Welt in Schlumpfhausen noch in Ordnung. Umso erstaunlicher, als 2011 plötzlich unsere kleinen blauen Freunde (fast ein bisschen zu perfekt animiert) auf der (Realfilm-)Kinoleinwand erschienen. Ausgerechnet in New York City ‒ Manhattan ‒, so ziemlich dem exakten Gegenpol von Schlumpfhausen. Zwar kann der Central Park größenmäßig wohl durchaus mit dem verwunschenen Wald mithalten, doch bedürfte dessen Pflege wohl ein ganzes Bataillon von Gärtnerschlümpfen. Und Pilze werden in Manhattan wenn nicht zum Verzehr, wohl im Wesentlichen zu bewusstseinsverändernden Zwecken genutzt. Sicher nicht, um darin zu wohnen. Umgekehrt kommt Schlumpfhausen meines Wissens auch im 21. Jahrhundert vollständig ohne Burger-Restaurants und Internetcafés aus. Auch Leuchtreklamen sucht man dort vergeblich. Selbst im Hinblick auf die Kleidung hält man es in Schlumpfhausen eher schlicht. Wenn die 5th Avenue mit den neuesten Kreationen der In-Designer aufwartet, trägt man in Schlumpfhausen schlichtes Weiß. Immer. Das entschleunigt schon den morgendlichen Badgang ‒ wobei man sich fragen darf: Wozu? Um ‒ wie im Fall von Beautyschlumpf  ‒ noch länger in den Spiegel schauen zu können? Oder, um ‒ wie Hefty ‒ noch länger Gewichte stemmen zu können? Oder, um ‒ wie Jokey ‒ noch zwölf explodierende Päckchen mehr verschenken zu können?

Der Ansatz im Schlumpfdorf ist freilich ein anderer als in New York City. Und sosehr Manhattan die Kultur des Andersseins zelebriert ‒ von nackten Cowboys über transsexuelle Asiaten bis hin zu kleinwüchsigen Artisten ‒ die Schlümpfe fallen dort trotzdem auf.

Deshalb stellen ihnen die Macher des Blockbusters von 2011 menschlichen Beistand zur Seite, der medial mit New York City ähnlich verwachsen scheint, wie auf der weiblichen Seite Sarah Jessica Parkers Alter Ego Carrie Bradshaw: Neil Patrick Harris, der ansonsten (wenn auch nur beruflich) eher als frauenverschleißender Macho aus How I Met Your Mother bekannt ist und zur Comic- und Zeichentrick-Schlumpfzeit als Doogie Howser, M.D. über die Bildschirme flimmerte.

Es ist unwahrscheinlich, dass man das Schlumpfhausen von damals prominent auf der medialen Landkarte fände, hätte Peyo die Blaulinge im 21. Jahrhundert erfunden. Vielleicht ist die Kinoversion (übrigens wenig verwunderlich  in 3-D) auch der Versuch, die ‒ aus heutiger Sicht ‒ etwas antiquierten Sehgewohnheiten der frühen 1970er-Jahre den gegenwärtigen Gewohnheiten anzupassen. (Im zweiten Teil, der eigentlich schon der dritte Schlümpfe-Kinofilm ist, kehren Papa Schlumpf und Co. übrigens zu ihren europäischen Wurzeln zurück und bereisen Paris.)

Die Geschichte bleibt die Gleiche: Die Schlümpfe jagen Gargamel, der das Rezept für den Schlumpfsaft gestohlen hat, ergo laufen sie vor ihm davon. Diesmal eben mit Unterstützung von („Neil“) Patrick Winslow und seiner hochschwangeren und dadurch hormonell etwas beeinträchtigten Frau Grace.

Vermutlich ist beides ‒ Orts- und Besetzungswahl ‒ ein genialer Schachzug. Denn die Schlumpffans von einst sind längst erwachsen geworden. Und wie ich ‒ auf der Grippe-Couch ‒ sind auch sie sich des hektischen Alltags bewusst, während sie sich eine Auszeit in Schlumpfhausen gönnen. Hoffentlich dauert es noch lange bis zur nächsten Grippe. Doch wenn es soweit ist, gucke ich mal wieder in Schlumpfhausen vorbei.

Über Cornelia Klein
Dr. Cornelia Klein studierte Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und promovierte über die mediale Vorbildkompetenz. Sie arbeitet als Lektorin und Redakteurin bei einem pädagogischen Fachverlag.